In Gesprächen über fernöstliche Medizin hört man nicht selten Bemerkungen über deren Alter, was das Bild ein über Jahrhunderte akkumuliertes bewährtes Wissen suggeriert. Das trifft auf Shiatsu allerdings nicht zu. Die Geschichte dieser Therapie ist kurz und hat viel mit der Unterdrückung der traditionellen Medizin zu tun, die die japanische Regierung seit 1868 jahrzehntelang verfolgte. Nachdem Versuche gescheitert waren, ein der westlichen Medizinausbildung und Approbationsordnung äquivalentes Ausbildungs- und Prüfungssystem für Kampo-Medizin gesetzlich zu verankern, beobachtet man in Japan seit Anfang des 20. Jahrhunderts Versuche, traditionelle Therapien zu „modernisieren“ bzw. neue Therapiefelder zu erschließen, die nicht mit den Bestimmungen des westlich geprägten Medizinalwesens kollidieren. Eine dieser Neuerungen war die „Fingerdruck-Therapie“ (shiatsu-ryōhō).
Das Wort shiatsu (Fingerdruck) wurde eigentlich von Ingenieuren benutzt, bevor es in der Medizin auftauchte. Hier präsentieren sich mehre Pioniere als Schöpfer des Namens und der Technik. Namikoshi Tokujirō (1905−2000) nennt ein Kindheitserlebnis als entscheidenden Impuls. Er habe 1912, d.h. im zarten Kindheitsalter, bemerkt, dass der Druck mit Daumen und Handballen in der Zervikalregion und am Rücken die arthritischen Schmerzen seiner Mutter linderte. Nach dem Erwerb einer Lizenz für Anma-Massage und allerlei Experimenten gründete er 1925 eine Praxis. Anfang der dreißiger Jahre war seine „Shiatsu-Therapie“ bereits so bekannt, dass sie im Tagebuch des berühmten Komödianten Furukawa Roppa erscheint. Unabhängig hiervon fügte ein Fukunaga Kazuma 1928 seinen „Kraftanwendungstherapien“ einen Anhang zur „Fingerdruck-Methode“ (Shiatsu-hō) bei. 1930 publizierte Tanomura Kaisen das Buch „Heilkunst ohne Medikamente – Fingerdruck-Therapie“ (Muyaku ijutsu shiatsu-ryōhō). Tamai Tempeki wiederum gab im selben Jahr die „Fingerdruck-Therapieverfahren“ (Shiatsu-ryōhō) heraus. Die systematische, detaillierte Darstellung bescherte dem Werk einen bis heute andauernden Erfolg. Im Vorwort zur Auflage von 1939 erklärte Tamai, dass er Shiatsu nunmehr zwanzig Jahre betreibe, weshalb manche Autoren die Geburt des Namens auf das Jahr 1919 legen.