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Shōnishin in der Behandlung traumatisierter Kinder

~ 7 Minuten
Thomas Wernicke

Als am 30. Oktober 2022 die Konferenz der japanischen wissenschaftlichen Gesellschaft für Kinderakupunktur (Nihon Shoni Hari Gakkei) stattfand, wurden in diesem Rahmen die ersten Erfahrungen und Ergebnisse vorgestellt, die in der Behandlung traumatisierter Kinder aus der Ukraine mit Shōnishin gemacht wurden.

Hierbei handelt es sich um ein Behandlungskonzept, das ich als eine standardisierte, einfache und wirkungsvolle Behandlungsmethode betroffenen Kindern auf kinderpsychiatrischer und bindungstheoretischer Grundlage Hilfe anbiete.

Was bedeutet Trauma und Traumatisierung?

Das Wort „Trauma“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Wunde“. In der Psychologie bezeichnet ein Trauma eine starke negative Erfahrung, die sich langfristig auf das Leben auswirkt.

Für ein Kind stellt eine traumatische Situation eine extreme, existenzielle Bedrohung dar. Dabei kann das Kind entweder sich selbst sowie seine körperliche und seelische Einheit oder andere Menschen als bedroht erleben. Entscheidend ist, dass das Kind das Gefühl hat, ohnmächtig zu sein und nichts tun zu können, um sich oder den anderen aus der extremen Not herauszuhelfen. Es gibt bei aller Bedrohung keinen Ausweg.

Daraus entsteht ein Gefühl extremer bedrohlicher Hilflosigkeit. Das sich gerade erst entwickelnde Selbstvertrauen in die Welt wird durch eine derartige Erfahrung nachhaltig erschüttert oder geht verloren.

Vielen dieser Kinder ist es unmöglich, das Geschehen durch eigene Ressourcen und Unterstützung der Bezugsperson zu verarbeiten. Sie sind teilweise erstarrt, dissoziiert, schwer depressiv oder zeigen Derealisationsphänomene – viele können nicht einmal weinen. Dieser Zustand macht sie handlungsunfähig, ein Entkommen aus dieser Situation ist nicht möglich – sie sind traumatisiert.

Was ist bei der Behandlung von traumatisierten Kindern zu beachten?

Die Behandlung soll

  • die Kinder aus ihrer Erstarrung holen, damit sie am alltäglichen Leben teilnehmen können

  • den betroffenen Kindern Ruhe, Geborgenheit und ein Gefühl von Schutz geben

  • die Kinder darin unterstützen, ihre innere und körperliche Anspannung abzubauen

  • ihnen das Gefühl von Sicherheit geben 

  • die Selbstregulation unterstützen

Vorbereitung

Ein wesentlicher Aspekt für die Behandlung ist, dass diese in einem Ambiente stattfinden sollte, wo Kinder sich sicher fühlen. Daher ist es erforderlich, sie in einem geschützten Raum in Gegenwart der Mutter oder einer Vertrauensperson und gegebenenfalls in Anwesenheit von Geschwistern zu behandeln.

Die am häufigsten genannten oder zu beobachtenden Symptome sind: Angstzustände, erneutes Einnässen, aggressives Verhalten, Schlafstörung, Stottern, Ausdruckslosigkeit und Abwesenheit, Panikzustände (besonders bei überfliegenden Flugzeugen durch den nahegelegenen Frankfurter Flughafen), Tics, depressive Grundstimmung.

Behandelt werden die Kinder im Sitzen oder im Liegen, je nachdem, wofür sie sich entscheiden. Um den Kindern ein Gefühl der Sicherheit zu geben bleiben sie bekleidet.

Insgesamt stehen für die erste Sitzung 30 Minuten und für die Folgebehandlungen 15 bis 30 Minuten zur Verfügung.

Ziel der Behandlung

Das Ziel der Behandlung liegt im ‘Herunterfahren’ eines überaktiven Sympathikus, damit das Kind aus einer ‘hyperaktiven Lähmung’ wieder in den Zustand eines ‘in sich ruhend‘ kommt und handlungsfähig wird. Um dieses Ziel zu erreichen kommen Techniken aus dem Shōnishin und eine Handbehandlungssequenz aus dem Developmental Shiatsu zum Einsatz.

Shōnishin

Mittels einer sanften und rhythmischen Streichtechnik werden bestimmte Rezeptoren in der Haut (das C-taktile Gitterfasernetz) stimuliert, in deren Folge es zu einer Ausschüttung des Hormons Oxytocin kommt und damit zur Regulierung des vegetativen Nervensystems. Kombiniert wird diese Technik mit einer Meridianbehandlung im Bereich der 3 Yin- und der 3 Yang-Meridiane an den oberen und unteren Extremitäten. Mit dieser Meridianbehandlung können bestehende Dysbalancen im Meridiansystem aufgelöst werden.

Im Bereich des kranio-zervikalen Übergangs wird zur Stimulation des Vagusnervs eine intensive, propriozeptiv wirksame Streichtechnik durchgeführt. In Kombination mit der Stimulation der aus der Ohrakupunktur bekannten vegetativen Rinne wird Einfluss auf die Sympathikus-Parasympathikus-Achse genommen.

Weitere Shōnishintechniken sind diverse Klopftechniken. Durchgeführt werden diese an Finger- und Zehenspitzen, um jene Hirnbereiche zu stimulieren, die für Wachheit zuständig sind. Mittels weiterer Klopftechniken kann an bestimmten Rückenzonen das vegetative Nervensystem beeinflusst werden.

Handbehandlung

Die Handbehandlung eignet sich, um ein Kind zugänglich für die Shōnishin Behandlung zu machen und ist Voraussetzung für einen Behandlungserfolg. Daher ist sie immer der Shōnishin Behandlung vorgeschaltet.

Mit Hilfe dieser Technik kann die Reintegration aus einem dissoziativen Zustand unterstützt werden, der Körper wieder „bewohnt“ werden. Dissoziative Zustände sind unwillkürliche Reaktionen des Organismus, um in einer Traumatisierungssituation zu überleben oder treten im Rahmen zusätzlicher später Stresssituationen auf, die ebenso zu einer Überflutung des Nervensystems führen.

Die 6-Schritte-Behandlung

Nach einer dreimonatigen Vorbereitungsphase kamen im Juni 2022 die ersten Familien zur kostenfreien Beratung und Behandlung in die Praxis. Die Behandlung findet einmal wöchentlich im Zeitraum von mittags bis abends statt, sodass auch Schulkinder teilnehmen können.

Schritt 1: Handbehandlung

(a) Mit einer Hand die Hand des Kindes proximal der Grundgelenke umfassen, mit Daumen und Zeigefinger der Behandlungshand von oben und unten auf den Daumen des Kindes greifen. Am Daumengrundgelenk beginnend sanften Druck in Verbindung mit Zug Richtung der Daumenspitzen ausüben. Diese Technik an den anderen Fingern wiederholen (Abb.1).

Wirkung: Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung.

Handbehandlung Finger
Abb. 1: Handbehandlung Finger

(b) Die Handinnenfläche des Kindes zeigt nach oben. Mit dem Daumen sanft zirkelnd den Punkt in der Handmitte (Pe 8) erst massieren und dann für die Dauer einiger Atemzüge halten. Von diesem Punkt ausgehend mit beiden Daumen die Handinnenfläche ausstreichen. Die gleiche Behandlung an der anderen Hand durchführen.

Wirkung: Fördert die Ausgeglichenheit, macht träge Kinder munter und beruhigt die aufgeregten. Bringt das Kind ins Gleichgewicht. Das Kind kommt schneller zur Ruhe. Unterstützt die Reintegration aus einem dissoziativen Zustand.

Schritt 2: Shōnishin Grundbehandlung an Armen und Beinen

Streichtechnik der Arm-Yin- und Yang-Areale (Abb.2); Streichtechnik der Bein-Yang- und Yin-Areale.

Wirkung: Oxytocin-Freisetzung zur Regulierung des vegetativen Nervensystems (NS), Polaritätswechsel von Yin und Yang bzw. Yang und Yin.

Strichtechnik der Arm Yin- und Yang-Areale
Abb. 2: Strichtechnik der Arm Yin- und Yang-Areale

Schritt 3: Klopfbehandlung an Finger-/Zehenspitzen

Sanftes Klopfen an den Fingerspitzen und an den Zehenspitzen (135/min.).

Wirkung: Stimulation der Hirnbereiche, die für Wachheit zuständig sind.

Schritt 4: Kopfbehandlung

Streichtechnik behaarter Kopfbereich und speziell im Bereich des kranio-zervikalen Übergangs (Abb.3).

Wirkung: Einfluss auf Vagus und Loslösung aus der Erstarrung.

Propriozeptive Streichtechnik am kraniozervikalen Übergang
Abb. 3: Propriozeptive Streichtechnik am kraniozervikalen Übergang

Schritt 5: Klopfbehandlung im Rückenbereich

Sanftes Klopfen im Bereich Th3, innerer Schulterblattrand und Sakrum (n. Masanori Tanioka).

Wirkung: alle drei Regionen haben einen regulierenden Einfluss auf das vegetative NS

(Th3 -> Verbindung zum Ganglion cervicale superius)

(Innenrand der Skapula -> parasympathischer Effekt über Stimulation des Nervus accessorius)

(Sakrum -> Stimulation des sakralen Anteils des vegetativen NS)

Schritt 6: Ohrbehandlung

Schrittweises Entlangdrücken oder Entlangrollen über die vegetative Rinne (Abb.4).

Wirkung: Einfluss auf die Sympathikus-Parasympathikus-Achse.

Abrollen der vegetativen Rinne
Abb. 4: Abrollen der vegetativen Rinne

Fazit

Die 6-Schritte-Behandlung ist in der Hand qualifizierter Fachkräfte überall und ohne großen Aufwand durchführbar. Sie ist zur Behandlung traumatisierter Kinder eine geeignete, effektive und kinderfreundliche Therapiemethode und wird von den Kindern sehr gerne angenommen. Selbstverständlich beschränkt sich die 6-Schritte-Behandlung nicht nur auf Kinder aus der Ukraine.